Titel
Israel bauen. Architektur, Städtebau und Denkmalpolitik nach der Staatsgründung 1948


Autor(en)
Minta, Anna
Erschienen
Anzahl Seiten
464 S., 169 Abb.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Schlör, Kollegium Jüdische Studien, Universität Potsdam

Das Gebäude, in dem David Ben Gurion, der Vorsitzende des Nationalrats der Juden in Palästina (Vaad Leumi), am 14. Mai 1948 mit sachlichen Worten die israelische Staatlichkeit proklamierte („Der Staat Israel ist gegründet. Die Sitzung ist geschlossen“), dieses Gebäude auf dem Rothschild-Boulevard in Tel-Aviv hat eine eigene Geschichte. 1909 als eines von sechzig kleinen Wohnhäusern der Hausbaugemeinschaft „Ahusat Bajit“ errichtet, diente es zunächst als Wohnsitz des langjährigen Bürgermeisters dieser Siedlung, die bald den Namen „Tel-Aviv“ erhalten sollte - benannt nach Nahum Sokolovs Übersetzung des Romantitels „Altneuland“ von Theodor Herzl. Nach dem Tod seiner Frau Zina bezog Meir Dizengoff, der aus Bessarabien stammte und vor seiner Einwanderung 1904 in Odessa gelebt hatte, das obere Stockwerk des Hauses und ließ das Untergeschoß zu einem Kunstmuseum ausbauen. 1936 starb „der energische Dizengoff“ (Agnon), und Karl Schwarz und Moshe Kaniuk bauten das Museum weiter aus.

Eigene Häuser zu bauen, sogar eine eigene Stadt, und der Kunst des neuen Landes (wie der jüdischen Kunst der Welt) in dieser Stadt ein eigenes Haus zu errichten, war die Form, in der das zionistische Programm der Rückkehr nach Erez Israel und der eigenen Staatlichkeit am besten sichtbar gemacht werden konnte. Das war anfangs selbst unter denen, die im Lande lebten, etwa in „Jaffa, der Meeresschönen“, durchaus umstritten. „Als Dizengoff erstmals die Errichtung einer eigenständigen Sektion für die jüdischen Bewohner der Stadt anregte“, so heißt es in einer Sondernummer des Palestine and Near East Economic Magazine von 1936, „erhob sich starker Protest. Wozu sich abtrennen? Wofür ein neues Ghetto schaffen?“ Und in seinem Roman Gestern, Vorgestern lässt Shmuel Josef Agnon den Schriftsteller Chaim Josef Brenner sarkastisch fragen: „Wenn sechzig Häuser gebaut wurden, hielt man damit schon den Esel des Messias beim Schwanz?“1 So hat das Bauen von Häusern und Siedlungen in Palästina und Israel vom Beginn der zionistischen Kolonisation an immer eine politische und eine spirituelle Dimension. Politik im Verhältnis zum osmanischen Reich (bis 1918) wie in der Relation zur britischen Mandatsmacht (1919-1948), in der Konfrontation mit der arabischen Bevölkerung, aber auch in den vielfältigen Beziehungen zu den jüdischen Gemeinden der Diaspora wurde auch durch das Bauen und mit der Hilfe von einzelnen Bauten gemacht.

Während die Zeit vor der Staatsgründung bereits Gegenstand verschiedener Untersuchungen war und besonders die Architektur des International Style viel Aufmerksamkeit gefunden hat, sind die Jahre seit 1948 noch ungenügend berücksichtigt worden.2 Die Kunsthistorikerin Anna Minta legte nun 2004 die Druckfassung ihrer Kieler Dissertation vor: „Israel bauen. Architektur, Städtebau und Denkmalpolitik nach der Staatsgründung 1948“. In der Einleitung werden die „Traditionen der zionistischen Kolonisierungs- und Kulturarbeiten“ dargelegt, ein Thema, das in größerer Tiefe in der kürzlich erschienenen Potsdamer Dissertation von Ines Sonder bearbeitet wird.3 Beide Studien betonen den großen Einfluss europäischer Planungs- und Bautraditionen auf die Art und Weise, in der Landnahme, Siedlungsform und Stadtplanung im Jischuw, der jüdischen Gemeinschaft Palästinas verwirklicht wurden. Im vorliegenden Buch geht es aber nun ganz konkret um „Staatsbildung und Herrschaftssicherung“ (S. 22), um die „nationale Selbstinszenierung“ (S. 23) in Israel: Was ist die Tragweite und was ist die „politische, ideologische sowie identitätskonstruierende Bedeutung von Architektur, Städtebau und Denkmalpolitik“ im Staat Israel?

Das Buch widmet sich vor allem der Zeit zwischen 1948 und 1967. In diesen Jahren diente die Politik des Bauens und der Planung dazu, der jungen Nation Formen einer „kulturellen und symbolischen Repräsentation“ (S. 14) zu verschaffen: Die physische Errichtung von Heimat sollte auch Identität stiften und die Aneignung des neuen, des umstrittenen Territoriums unterstützen. Neben dem Auf- und Ausbau des jüdischen Jerusalem als dem zentralen Ort israelischen Selbstverständnisses und neben der Errichtung neuer Entwicklungsstädte im Rahmen einer „geopolitischen Strategie“ gehört dazu auch der Bau von Orten der Erinnerung. Gerade letztere sollten – zum Teil in einer Anknüpfung an die historische Präsenz der Juden im Lande Israel, zum Teil in Bezug auf die Shoa und ihre Folgen – der „nationalstaatlichen Legitimation“ dienen. Diese bereits in der Einleitung formulierten Vorgaben machen die Lektüre der folgenden inhaltlichen Kapitel, die allesamt sehr dicht geschrieben sind, auf einer beeindruckenden Quellen- und Literaturbasis beruhen und hervorragend illustriert werden, in gewisser Weise (zu) leicht; die Frage, ob das „Bauen in Israel“ auch auf andere Weise analysiert und verstanden werden könnte, stellt sich so erst gar nicht.

Es gilt, so die Autorin in dem gleichen apodiktischen, schwer zu hinterfragenden Ton, nach dem Waffenstillstand von 1949, „den vorstaatlichen expansiven Kolonialismus in eine innere Kolonisation umzuwandeln“. Die Ziele und Richtlinien dafür werden im „Nationalplan“, einem übergeordneten Landesentwicklungsplan, festgelegt; diesem Plan, dessen Entwicklung bis 1953 in den Händen des Architekten Arieh Sharon liegt, ist das zweite der insgesamt fünf Kapitel gewidmet. Grundlage der Planung sind drei Schwerpunkte: Immigration und ihre Absorption im Land; Förderung der Wirtschaft, vor allem der Selbstversorgung; Verteidigung und Ausbau der jüdischen Präsenz in peripheren Gebieten. Während der Plan eine weitere Zuwanderung in die Städte vermeiden und statt dessen die ländlichen Regionen strukturell aufwerten will, bestehen Kibbuzim und Moshavim auf ihrer Autonomie – wie schon in der vorstaatlichen Zeit gelingt es nur schwer, die Pläne gegen den Druck der Realitäten durchzusetzen. Dabei spielt die in der Diaspora entstandene stadtkritische Einstellung führender Zionisten eine wichtige Rolle, Minta zitiert eine journalistische Einschätzung aus dem Jahr 1972: „Four of every five Israelis live in the cities, but the nation doesn’t have an urban philosophy.“ (S. 67)

Im nationalen Maßstab ereignet sich eine ideologisch bedingte Umwertung des Landes durch die Ausblendung arabischer Rechtsansprüche und durch die „Hebräisierung der israelischen Landkarte“, vollzogen von der „Geographical Names Commission“. Dieser Prozess der Umbenennung „von Orten, Landschaften, Bergen, Tälern, Flüssen etc.“ (S. 86) wird auch in dem Buch von Miron Benvenisti geschildert; allerdings schreibt Benvenisti, der langjährige stellvertretende Bürgermeister von Jerusalem, die Exkursionen an der Hand seines Vaters – der mit der Umbenennung von Namen in Galiläa beauftragt war – hätten ihm erst recht die vergangene wie die gegenwärtige Präsenz der arabischen Bevölkerung bewusst gemacht!4 Solche Dialektik, unerlässlich für ein Verständnis der Situation im Nahen Osten, hätte man sich in diesem Buch auch gelegentlich gewünscht. Mit Jerusalem befasst sich das folgende Kapitel. Frühe Pläne gelten noch der ganzen Stadt, erst ab 1955 konzentriert sich der Masterplan für die Stadt auf den israelischen Westteil, versucht allerdings, im Hinblick auf eine eventuelle Wiedervereinigung, solche Maßnahmen zu vermeiden, „die die Grenzziehung unwiderruflich in den Stadtgrundriß und den urbanen Organismus einschreiben“ (S. 99). Während die Altstadt „auf ihre symbolische und emotionale Funktion reduziert“ (S. 109) und ihr jüdischer Teil unter der jordanischen Besetzung fast vollständig zerstört wird, worauf die Studie nicht hinweist, errichtet die israelische Regierung „nationale Institutionen als kollektive Bedeutungsträger“: die Knesset, das Parlament als „architektonisches und symbolisches Monument des israelischen Staates“; die Kongresshalle, das Israel-Museum und der Schrein des Buches (für die Qumran-Rollen) als „kulturhistorische Symbole“; sowie die Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Berg der Erinnerung als „Ikonografie des nationalen Erinnerns“.

Nach 1967 wird das jüdische Viertel in Jerusalem wieder aufgebaut, der Platz vor der „Klagemauer“ abgeräumt. Im folgenden Abschnitt geht die Arbeit über die sonst gesetzte Zeitgrenze von 1967 hinaus und schildert sehr anschaulich – und wiederum mit hervorragenden Illustrationen – die beginnenden Konflikte „zwischen religiösen und national-zionistischen Vertretern“ und Konzeptionen nicht nur städtischen Lebens: „Im Zentrum steht die Frage nach dem Wesen des Zionismus und seines Verhältnisses zum Judentum.“ (S. 245) Von Jerusalem aus hat diese „Frage“ inzwischen das ganze Land erreicht; sie stellt sich allerdings weniger drastisch in den neuen Entwicklungsstädten, mit denen sich, am Beispiel von Beer Sheva, das folgende Kapitel beschäftigt. Beer Sheva ist keine wirklich „neue“ Stadt, vielmehr verfügt sie über eine „mythische und strategische Bedeutung“, die ihr seit Jahrhunderten zugeschrieben wird; gerade deshalb sollte sie nach 1948 als „starkes Zentrum im Negev“ ausgebaut werden. Die Entwicklung der Stadt spiegelt den Paradigmenwechsel in Israel von den „zionistischen Agrar-Idealen und den Strategien der dezentralen Kolonisierung“ hin zur Konsolidierung von Staat und Wirtschaft in den 1960er-Jahren. Schnell errichtete Siedlungen von schlechter Qualität haben zwar den nötigen Wohnraum für die massenhafte Immigration bereitgestellt, eine dauerhafte Identifikation der Bewohner mit diesem Ort aber nicht herstellen können – der radikale Bruch mit den bestehenden Strukturen der Altstadt hat eine Leere erzeugt, die nicht durch neue, überzeugende Lösungen gefüllt wurde; erst in den Jahren nach 1969 wurden die dogmatischen Planungsideale zugunsten eines neuen Modells der „kompakten Stadt mit kurzen Wegen“ aufgegeben: Urbanität ist das neue Ziel.

Diese Entwicklungen hängen, so Minta, auch damit zusammen, dass eine neue Generation von Architekten (die das Land nicht mehr selbst „erkämpfen“ mussten, sondern „als gegeben hinnehmen können“) offener sein kann für eine „Auseinandersetzung mit der Realität und dem realen Ort“. Ob eine neue Orientierung an lokalen Bautraditionen für eine Annäherung oder sogar einen „Aussöhnungswillen mit den arabischen Einwohnern Israels“ spricht, wird allerdings skeptisch beurteilt. Das letzte Kapitel widmet sich dem neuen städtebaulichen und architektonischen Kurs des Staatsaufbaus am Beispiel der Errichtung und Entwicklung dreier Bildungseinrichtungen, vom Herzlia-Gymmnasium in Tel-Aviv (1909) über die Hebräische Universität in Jerusalem (1918/25) bis zur Ben-Gurion Universität des Negev 1969. Letztere ist, so Minta, „ein symbolisches und physisch erfahrbares Bollwerk der nationalen und damit zionistischen Kultur- und Siedlungspolitik“ (S. 389), sie greift anders als die beiden genannten Einrichtungen nicht mehr auf biblische Verweise als Rechtfertigung ihrer Existenz zurück. Während hier die räumliche Inszenierung und die Einschreibung in die Landschaft im Vordergrund stehen, verlängert die nach den militärischen Erfolgen von 1967 einsetzende Strategie der Errichtung jüdischer Siedlungen die Phase und Form der dezentralen Siedlungsgründen aus der Zeit vor und nach 1948. So stehen sich (nicht nur) hier innerhalb Israels verschiedene Konzepte der Auseinandersetzung mit Raum und Territorium gegenüber. Eine Analyse der Bau-, Siedlungs- und Denkmalspolitik kann deshalb tatsächlich viel zum Verständnis der inner-israelischen Auseinandersetzungen um die Vorgeschichte, die Gegenwart und die Zukunft des zionistischen Projekts und der gesamten Region beitragen. Schade nur, dass eine so kluge, detaillierte und quellensichere Darstellung nicht auch etwas Raum für abweichende Einschätzungen lässt.

Anmerkungen:
1 Eine ausführliche Schilderung dieser Debatten findet sich in Schlör, Joachim, Tel-Aviv. Vom Traum zur Stadt, Gerlingen 1996, S. 43-66.
2 Metzger-Szmuk, Nitza, Dwelling on the Dunes. Tel Aviv Modern Movement and Bauhaus Ideals, Paris 2004; Warhaftig, Myra, Sie legten den Grundstein. Leben und Wirken deutschsprachiger jüdischer Architekten in Palästina 1918-1948, Tübingen 1999.
3 Sonder, Ines, Gartenstädte für Erez Israel. Zionistische Stadtplanungsvisionen von Theodor Herzl bis Richard Kauffmann, Hildesheim 2005.
4 Benvenisti, Miron, Sacred Landscape. The Buried History of the Holy Land since 1948, Berkeley 2000.

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